Energieforschung, die wirkt: TEN.efzn schafft Fundament für starke Innovationen
Ein Blick auf die ersten Monate des Forschungsprogramms TEN.efzn - mit Jannika Mattes und Sebastian Lehnhoff.
Mit dem Forschungsprogramm Transformation des Energiesystems Niedersachsen (TEN.efzn) ist im vergangenen Herbst eines der größten Verbundforschungsvorhaben des Landes gestartet. TEN.efzn hat das ambitionierte Ziel, die Energieforschung im Land bis 2030 strategisch weiterzuentwickeln und neu zu profilieren. Gestützt wird es dabei von über 180 engagierten Forscher:innen, 18 beteiligten Forschungsinstitutionen sowie einem historisch hohen Fördervolumen von über 58 Millionen Euro. Im Interview blicken Prof. Dr. Sebastian Lehnhoff und Prof. Dr. Jannika Mattes, Vorsitzende des TEN.efzn-Lenkungskreises, auf die ersten Monate der Zusammenarbeit in diesem gesamtniedersächsischen Vorhaben – und geben einen Ausblick auf die kommenden fünf Jahre gemeinsamer interdisziplinärer Forschung für ein nachhaltiges, zukunftssicheres Energiesystem.
Sechs Monate TEN.efzn, Zeit für eine Standortbestimmung: Wie ist dieses riesige Forschungsprogramm mit seinen sechs Forschungsplattformen angelaufen?
Jannika Mattes: Es ist gut und ziemlich dynamisch angelaufen – wir hatten ja zunächst eine Menge neuer Stellen zu besetzen, was in den allermeisten Fällen erfreulicherweise schnell gelungen ist. Und dieser riesige Forschungsapparat muss nun eben wachsen und zusammenwachsen – da sind wir jetzt nach sechs Monaten mittendrin und merken, wie bereichernd und gleichzeitig anspruchsvoll insbesondere die Interdisziplinarität des Forschungsprogramms ist.
Sebastian Lehnhoff: Genau, dieses interdisziplinäre Zusammenkommen, die gleiche Sprache zu sprechen, ist oft das, was in so großen Verbundvorhaben normalerweise wirklich lang dauert und herausfordert. Ich habe das Gefühl, dass wir hier tatsächlich schon weiter sind als in anderen Vorhaben, zum einen, weil wir eine sehr intensive Vorbereitungsphase für das Programm hatten, aber auch, weil wir über das efzn bereits sehr geübt in dieser Art interdisziplinärer Zusammenarbeit sind. Hier gibt es gar keine Berührungsschwierigkeiten – und das finde ich wirklich beeindruckend. Viele Mitarbeitende, die nun auch in TEN.efzn dabei sind, haben diese Art der Kooperation schon durchlaufen und verinnerlicht und geben das auch direkt an die neuen Forschenden im Programm weiter. Durch die schnelle Besetzung der über 100 ausgeschriebenen Stellen haben wir viele tolle neue Kolleg:innen aus ganz Deutschland und darüber hinaus dazugewonnen, die nun direkt in diese interdisziplinäre Zusammenarbeit eingebunden werden.
Jannika Mattes: In diesem Zusammenhang ist es auch wichtig zu erwähnen, dass wir bereits in der Antragsphase versucht haben, dieses riesige Gesamtvorhaben in kleinere, konkrete Konstellationen herunterzubrechen. Das fand innerhalb der Forschungsplattformen statt, wirkt sich aber auch auf die Zusammenarbeit zwischen den Plattformen aus. Uns war es wichtig, dass die Forschenden nicht in etwas Großem, Diffusen verloren gehen, sondern in ganz konkreten, überschaubaren Gruppen miteinander arbeiten und persönlichen Kontakt halten können. Dieser Aufbau hat sicherlich auch zu der beschleunigten Startphase von TEN.efzn beigetragen.
Ein Alleinstellungsmerkmal von TEN.efzn ist die Verbindung von technisch-naturwissenschaftlicher Energieforschung mit sozialwissenschaftlicher Transformationsforschung. In allen sechs Forschungsplattformen wird interdisziplinär und standortübergreifend gearbeitet. Wie lässt sich dies im Forschungsalltag umsetzen? Wo liegen die besonderen Herausforderungen – und Chancen?
Sebastian Lehnhoff: Die Frage, wie sich das im Forschungsalltag umsetzen lässt, würde ich mal launisch beantworten mit: Das läuft doch schon – wir arbeiten bereits interdisziplinär zusammen. Ich merke das ganz konkret in der Forschungsplattform Digitalisierung, bei der ich intensiv beteiligt bin. Unsere Mitarbeitenden nehmen von Anfang an bei der technischen Entwicklung eine Perspektive ein, die auch die soziologische Reflexion, die Bedürfnisse der Anwender:innen einbezieht und zwar nicht nur pro forma zu Beginn, sondern tief verschränkt, während des gesamten Forschungsprozesses – in der Entwicklung, Modellierung und Evaluation.
Jannika Mattes: Ich habe auch das Gefühl, dass dieser Lauf gegen Windmühlen, den ich als Sozialwissenschaftlerin häufig in sozio-technischen Konstellationen erlebe, in TEN.efzn eigentlich bereits in der Antragsphase beendet wurde. Die sozio-technische Perspektive ist inzwischen in den allermeisten Köpfen sehr prominent vorhanden – auch wenn natürlich an der ein oder anderen Stelle immer noch etwas verwundert auf die Methoden geschaut und gefragt wird: Ist das denn nun echte Wissenschaft, wenn da gar nichts berechnet wird? Ein paar Vorbehalte sind also schon noch da, aber auf einem völlig anderen Niveau, als ich es sonst häufig erlebe. Die sozio-technische Perspektive wird nicht als Add-on gesehen, sondern als integraler Bestandteil – und wir sprechen auf Augenhöhe miteinander. Ich denke, dass dieser beständige Dialog besonders wichtig ist für die Zusammenarbeit: Miteinander reden, Dinge erklären, Zeit darin investieren, sich kennenzulernen und gegenseitig zu verstehen. Und auch die Bereitschaft, die eigene, eigentlich gefestigte Position, die eigene Komfortzone zu verlassen.
Eine Herausforderung wird daher nun eher sein, unseren wissenschaftlichen Nachwuchs im TEN.efzn auf eine Wissenschaftslandschaft vorzubereiten, in der weiterhin sehr disziplinär gedacht wird – es gibt ja etwa kaum wirklich interdisziplinäre Professuren. Wir können ihnen dann hoffentlich beides mitgeben, sowohl die disziplinäre Expertise als auch die ausgewiesene Erfahrung durch interdisziplinäre Zusammenarbeit.
Sebastian Lehnhoff: Was ich bei unserem beständigen Austausch immer wieder merke, ist, dass die meisten unserer Forschenden letztlich einen Wirksamkeitsanspruch haben – sie wollen Forschung in die Praxis überführen und die Energiewende vorantreiben, um die Welt so ein Stück besser zu machen. Es ist bei vielen ein ganz hohes Problembewusstsein da, dass man das nicht alleine schafft, sondern dass man eine Übersetzungsperspektive braucht, einen interdisziplinären Blick auf die Herausforderungen. Es geht den meisten also nicht nur darum, irgendwelche Papiere zu veröffentlichen, sondern sie wollen, dass ihre Forschungsergebnisse in der Realität und für die Zukunft des Energiesystems anwendbar sind.
Jannika Mattes: Und dafür brauchen wir Zeit, die wir in anderen Forschungsvorhaben sonst nicht haben. Mit der fünfjährigen Förderdauer von TEN.efzn kann ein enger Verbund von Forschenden heranwachsen, in dem solche ambitionierten Ziele tatsächlich erreicht werden können und in dem nicht nur auf die nächste Publikation geschaut wird.
Neben innovativer Forschung legt TEN.efzn auch großen Wert auf eine praxisnahe Umsetzung der Forschungsergebnisse. Warum ist dies für TEN.efzn so wichtig?
Jannika Mattes: Wir forschen ja an Themen mit großer gesellschaftlicher Relevanz und müssen gerade hier in Niedersachsen als Energieproduktionsland weiterkommen. Der Klimawandel ist eine echte Herausforderung, bei deren Bewältigung wir viel zu lange schon viel zu langsam waren. Unsere Ergebnisse bieten eine Chance dafür, dass wir nicht nur tolle technische Lösungen entwickeln, sondern diese auch so gestalten, dass sie gut implementierbar sind und so wirklich einen großen praktischen Beitrag zur Energiewende, zum Aufbau eines klimaneutralen Energiesystems leisten können. Wir dürfen hier keine Forschung im Elfenbeinturm betreiben, sondern müssen die Ergebnisse direkt mit der Praxis rückkoppeln. Deshalb hat das Thema Transfer in TEN.efzn einen sehr hohen Stellenwert – und wir nutzen bestehende und neue Strukturen und Formate, um mit Wirtschaft, Politik und Zivilgesellschaft in beständigem Austausch zu stehen, schon während der laufenden Forschungsarbeit.
Auch die Ausbildung von Fachkräften und wissenschaftlichem Nachwuchs ist ein wichtiger Baustein des Forschungsprogramms, der auf verschiedene Weisen umgesetzt wird, etwa mit der efzn-Academy und dem Landesgraduiertenkolleg Wasserstoff. Warum ist diese Nachwuchsförderung aus Ihrer Sicht relevant?
Sebastian Lehnhoff: Wir haben hier ein Fünf-Jahres-Forschungsprogramm, das ganz viel inhaltlich arbeitet, das Konzepte, Modelle, Technologien entwickelt, die in der Praxis umgesetzt werden sollen. Aber dieses Erzeugen von Artefakten, wie man in der Informatik sagen würde, reicht auf keinen Fall aus. Wir brauchen Leute, die die Forschungsergebnisse umsetzen, die Energieinfrastruktur planen, aufbauen, warten und weiterentwickeln. Da kann man noch so interdisziplinär und praxisnah forschen – wenn am Ende niemand da ist, der die Ergebnisse ein- und umsetzen kann, bringt das alles nichts. Mit dem Fokus auf die Nachwuchsförderung schaffen wir also die Voraussetzung dafür, dass die neuen Technologien letztlich in unserem heutigen Energiesystem eingesetzt werden können – und das ist eine tolle und motivierende Perspektive.
Jannika Mattes: Am Ende geht es ja auch um Strukturbildung. TEN.efzn soll die Energieforschung in Niedersachsen strategisch neu aufstellen und weiterentwickeln – wir arbeiten hier also an etwas, das nicht nach fünf Jahren einfach verpuffen soll, sondern dauerhafte Strukturen schafft, für deren Erhalt und Ausbau wir dann in Zukunft qualifizierte Menschen brauchen werden, sowohl in der Forschungslandschaft als auch in der Industrie. Es geht darum, einen nachhaltigen Multiplikationseffekt zu erzeugen.
Das ist eine schöne Überleitung zur großen Frage zum Schluss: Was hoffen Sie, in den kommenden Jahren durch TEN.efzn für die niedersächsische Energieforschung und für den Forschungsstandort Niedersachsen insgesamt zu erreichen?
Jannika Mattes: Ein wichtiger Wunsch ist natürlich, dass wir gemeinsam Technologien entwickeln, die die Energiewende in Niedersachsen und darüber hinaus maßgeblich voranbringen. Ich erhoffe mir außerdem, dass das efzn sich noch stärker als standortübergreifende Forschungslandschaft etablieren kann und in und aus den Universitäten und Hochschulen heraus noch weiter und intensiver wirkt. Und ich wünsche mir, wie schon erwähnt, dass wir dauerhafte Strukturen schaffen, die insbesondere die in TEN.efzn so gut etablierte sozio-technische Zusammenarbeit pflegen und ausweiten – und wir hier aus Niedersachsen heraus vielleicht sogar ein wenig als Vorbild für andere Standorte dienen können. Es wäre schön, wenn wir zeigen könnten, dass diese Art der interdisziplinären Zusammenarbeit einfach besser ist und wir viel, viel mehr erreichen und erklären können, wenn wir ernsthaft bereit sind, über unsere disziplinären Grenzen hinweg auf Augenhöhe miteinander zu arbeiten.
Sebastian Lehnhoff: Auf Augenhöhe miteinander arbeiten – das ist ein gutes Stichwort und aus meiner Sicht auch etwas, was wir mit TEN.efzn nicht nur für die Forschungscommunity erreichen wollen. Ein großer Teil der Forschungsvorhaben in TEN.efzn setzt auf Partizipation. Forschende rücken ganz nah an die Endanwender:innen heran. In Reallaboren und mit sozio-technischer Perspektive entwickeln wir Technologien, machen sie schon in der Entstehung sichtbar und erproben sie gemeinsam mit Menschen vor Ort. Ich fände es toll, wenn sich diese für uns eher neue, partizipative Form der Technologieentwicklung bewährt und etabliert. Im Energieland Niedersachsen wissen wir sehr gut, dass der Wandel des Energiesystems nur Hand in Hand und unter Einbindung aller Menschen gut funktionieren kann – es wäre klasse, wenn wir diese gemeinsame, partizipative Herangehensweise durch TEN.efzn auch über Niedersachsen hinaus noch stärker verankern könnten.
TEN.efzn wird gefördert mit Mitteln aus zukunft.niedersachsen, dem gemeinsamen Wissenschaftsförderprogramm des Niedersächsischen Ministeriums für Wissenschaft und Kultur und der VolkswagenStiftung.